2018 ist es durch das Zusammenwirken von Museen und künstlerischen Druckwerkstätten gelungen, in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes die Drucktechniken des Hoch-, Tief-, Flach- und Durchdrucks sowie deren Mischformen aufzunehmen, die an diesen Orten als praktische Tätigkeiten gepflegt werden.
Fotos: Klaus Raasch
Ich liebe Pizza, wenn sie gut gemacht ist. Deshalb weiß ich es sehr wohl zu schätzen, daß die Kunst des neapolitanischen Pizzabackens 2017 in die weltweite Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden ist, besonders wenn ich daran denke, was alles sonst sich Pizza nennen darf. Ich werde mich vermutlich auch zu der Kunst des Further Drachenstichs oder der Spergauer Lichtmeß als immaterielles Kulturerbe verhalten können, wenn ich erst weiß, was damit für eine soziale Praxis verbunden ist. Auch der Pfingsttanz als Basis der kommunalen Entwicklung in der Verbandsgemeinde Mansfelder Grund-Helbra wird meinen Beifall finden, der 2018 als Beispiel guter sozialer Praxis in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen wurde.
Aber es hätte mich doch sehr enttäuscht, wenn die Techniken, mit denen seit über 500 Jahren die Werke unserer Kultur gesetzt, gedruckt, verbreitet und aufbewahrt worden sind, wenn die Techniken des Druckens, die gedankliche und künstlerische Leistungen überhaupt erst allgemein zugänglich und damit diskutierbar gemacht haben, nicht mehr auf die Liste des immateriellen Kulturerbes hätten gelangen können, weil es sie in der Praxis nicht mehr gäbe.
Denn durch die Benennung als immaterielles Kulturerbe werden weder die Ergebnisse einer Tätigkeit, die Produkte dieser Arbeit, noch die Geräte und Maschinen, die sie ermöglicht haben, bewertet – das geschieht auf andere Weise –, sondern die soziale Praxis ihrer Hervorbringung wird benannt im Moment des Verschwindens. Die Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes wird geführt, damit eine praktische Tätigkeit von Menschen in ihrer kulturellen Bedeutung genannt, gewürdigt und dadurch vor dem Vergessen und Verschwinden bewahrt wird. Im Moment der Gefährdung eines spezifischen Tuns von Menschen soll auf dessen Bedeutung
hingewiesen werden, um sie nachfolgenden Generationen vermitteln zu können.
2018 ist es durch das Zusammenwirken von Museen und künstlerischen Druckwerkstätten gelungen, in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes die Drucktechniken des Hoch-, Tief-, Flach- und Durchdrucks sowie deren Mischformen aufzunehmen, die an diesen Orten als praktische Tätigkeiten gepflegt werden.
Bedenken Sie dabei, daß es sich um den Augenblick der Gefährdung handelt, daß viele Fach- und Hochschulen für die künstlerische Ausbildung bereits auf diese Techniken und Werkstätten verzichtet haben, weil sie nicht mehr für notwendig erachtet, nicht mehr genutzt werden und kein Personal für eine ordentliche Pflege zur Verfügung steht. Freuen Sie sich also mit mir darüber, daß durch diese Benennung die Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, daß die vielen schönen Kunst-Produkte – das Erlesene auf Papier, das Sie auf der BuchDruckKunst betrachten, kritisieren, begehren und kaufen können – praktische Vorbedingungen haben: Material, Farben, Lettern, Druckformen müssen zur Verfügung stehen, die ihrerseits ausgebildete Schriftgießer, Setzer, Stempel- und Holzschneider erfordern, um dann auf funktions- fähigen Maschinen von erfahrenen Menschen gedruckt und verarbeitet zu werden.
Als Wibke und Stefan Bartkowiak 1997 im Jahr der Eröffnung des Museums hier die erste BuchDruckKunst veranstalteten und die Bücherschau mit der Vorführung und Erläuterung der vielen grafischen Techniken verknüpften, haben wir alle noch nicht geahnt, wohin die Reise gehen würde. In über zwanzig Jahren hat sich das Angebot der praktischen Tätigkeiten ausgeweitet: So gibt es bei uns die Stempelherstellung, den Matrizenschnitt, den Monotype- wie Linotype-Maschinensatz und den Buchdruck auf großen Schnellpressen. Ebenso die Kunst der Lithografie und des Steindrucks, die nicht nur an manuellen Reiberpressen ausgeübt wird, wie in anderen künstlerischen Werkstätten, sondern auch an der industriellen Schnellpresse Faust, die der Maschine gleicht, die Tolouse-Lautrec für seine Plakate zur Verfügung hatte.
Ich bin unendlich dankbar dafür, daß das Museum der Arbeit ein Kraftzentrum dieser Aktivitäten geworden ist. Freuen wir uns nun gemeinsam darüber, daß die Begegnung mit all den Künstlern und Handwerkern, die diese Techniken pflegen und zu neuen Projekten aufbrechen, zur Fortführung des immateriellen Kulturerbes beiträgt.
Hoffen wir, daß das besonders gefährdete kulturelle Erbe des Druckens und Bücher- machens lange bestehen bleiben möge und sich noch unsere Kindeskinder an Erlesenem auf Papier erfreuen können. Begreifen Sie die hier ausgestellten Werke daher nicht als Zeichen der Vergangenheit, sondern als mit traditionellen Techniken hervorgebrachte Werke der Zukunft.
Jürgen Bönig leitete als Technikhistoriker 25 Jahre lang die Abteilung Grafisches Gewerbe im Museum der Arbeit Hamburg. Der Beitrag erschien im Magazin zur BuchDruckKunst 2019.